Gedichtetes

Samstag, 27. Dezember 2014

Meerschwein-Epik

Schreib doch mal was

„Schreib doch mal was.”, sagt er, und schiebt sich eine Gabel voll in den Mund.
„Mhm.”
„Ja?”
„Was, ja?”
„Also schreibst du was?”
„Weiß nicht.” Ich betrachte den Gemüseburger auf meinem Teller.
„Mach doch mal!” Seine Stimme klingt ermunternd. „Du erfindest doch ständig neue Wörter, was war das noch letztens?” Er lehnt sich nach hinten und macht nachdenkliche Geräusche.

Ich versuche, die einzelnen Kartoffelfasern in meinem Gemüseburger zu segmentieren und trinke noch einen Schluck Wein, um meinen Blick zu schärfen. Irgendwie bin ich gerührt von dem Zusammenhalt auf meinem Teller, wie sich dort alles mit allem verschlungen hat. Möhren mit Kartoffeln mit Broccoli, Égalité, Fraternité ...
„Hilf mir doch mal, was war das für ein Wort?”
„Hm?”
„Irgendwas mit E... .” Er starrt mich an und ich weiß, dass es ihm jetzt nicht auffallen wird, wenn ich nicht zurück starre.
Ich denke an das Meerschwein von Ringelnatz und frage mich, wie weit es vom Küchenstuhl bis zum Meer ist, wenn man den kürzesten Weg nimmt. Den kürzesten Weg. Das ist auch sowas. Immer schnell schnell, von irgendwo nach irgendwohin, und dazwischen lauter Nicht-Menschen an Nicht-Orten; nicht mehr ganz hier und noch nicht ganz dort. Mir fällt das Wort ein, das L. gestern auf dem Nachhauseweg gesagt hat: „Entschleunigung”, und es fühlt sich verrückt und gut an, und ich stelle mir vor, wie ich vom Stuhl aufstehe und den ersten Schritt in Richtung Meer gehe. Und dann den zweiten.
„Ah, ich komm nicht drauf. Ist auch egal.” Er zerknüllt seine Serviette und ich höre, dass er lächelt.
„Was machst du da?”, fragt er.
Ich schaue auf, und gehe mit Ring- und Zeigefinger einen letzten langsamen Schritt auf dem Tisch entlang. Dann lege ich die Hand flach auf den Tisch:
„Was will das Meerschwein eigentlich am Meer?”
„Wie bitte?”
„Das Meerschwein. Was will es am Meer?”
Er lächelt jetzt nicht mehr.
Ich schaue auf meinen Gemüseburger, als wüsste er die Antwort.
„Das Meerschwein will am Meer sein und mehr Sein.”

„Oh.”, sage ich, und plötzlich kommt mir der Tisch sehr breit vor.
„Und?” sagt er.
„Und was?”
„Schreibst du was?”


(Me)

Meerschwein-Lyrik

Heimatlose

Ich bin fast
Gestorben vor Schreck:
In dem Haus, wo ich zu Gast
War, im Versteck,
Bewegte sich,
Regte sich
Plötzlich hinter einem Brett
In einem Kasten neben dem Klosett,
Ohne Beinchen,
Stumm, fremd und nett
Ein Meerschweinchen.
Sah mich bange an,
Sah mich lange an,
Sann wohl hin und sann her,
Wagte sich
Dann heran
Und fragte mich:
„Wo ist das Meer?”

(Joachim Ringelnatz)

Funkloch und weg

Alles aus jetzt,
alles vorbei.
Hab mich befreundet gewähnt und seh die Dinge jetzt anders. Wie das so ist, wenn ne Latte Zeit sich vor die Dinge schiebt.
Hab dich echt gemocht und fand dich lustig und ich gebe zu,
ich war ein bisschen verknallt.
Vielleicht auch sehr.
Ja und dann kam alles anders,
kein Spass mehr,
nie Spass gewesen.
Du warst stillschweigend die ganze Zeit
schon zu zweit.
Du Arsch. Ich Arsch, weil trotzdem.
Ich will das alles vergessen.
Was soll man rückblickend auch sagen über nen riesen Haufen selbstverzapfte Scheisse
Dumm war's.
Draus gelernt? Weiss nicht. Vielleicht.
Und heute?
Wenn wir uns eines Tages mal übern Weg laufen;
also ich bin noch nicht zu nem Schluss gekommen,
ob Smalltalk oder Mittelfinger.
Ich kann durch's Gras immernoch die Narbe sehen.
Es
ist
noch
nicht
hoch
genug.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

detached
This word is haunting me for days now. I think that...
Spinnfäden - 17. Mai, 23:04
The artist in me
Wenn ich nicht so viel zu tun hätte, würde ich Grossartiges...
Spinnfäden - 17. Mai, 21:45
Schale
Nussschale, du kleine, hölzerne Dein Rand teilt Himmel...
Spinnfäden - 3. Apr, 23:46
Die dunkle Seite
Heute morgen habe ich auf WDR5 ein Feature zum Thema...
Spinnfäden - 3. Apr, 19:11
Ja vielen Dank auch :)...
Ja vielen Dank auch :) Schön dabei zu sein!
Spinnfäden - 27. Dez, 21:25

Links

Suche

 

Status

Online seit 3930 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 17. Mai, 23:05

Credits